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Hajo F. Breuer
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Die alte Erde

von Hajo F. Breuer

Die Amerikaner bezeichnen Europa gern als das »alte« Europa. Sie empfinden unseren Kontinent mit seinem wuchernden Vorschriftendschungel als überholt und vergangenheitsorientiert. Ihr eigenes Land hingegen nehmen sie als junge, dynamische Nation wahr, die nicht erst lange über Probleme lamentiert, sondern sie einfach anpackt. Die Amerikaner haben wirklich ein schönes Bild von sich selbst – auch wenn es falsch ist.

Tatsache ist, daß nach wie vor viele Prozesse in den USA dynamischer ablaufen als bei uns. Man darf nicht vergessen, daß es noch gar nicht so lange her ist, daß Nordamerika wie ein ausgetrockneter Schwamm wirkte, der die Menschen aus Europa geradezu aufsog. Dabei waren die USA damals, zu Zeiten der großen Einwandererströme, alles andere als attraktiv: Weite Landstriche waren unerforscht und von feindseligen Wilden bewohnt, die die Europäer als Eindringlinge betrachteten und entsprechend behandelten. Staatliche Ordnung, die den Namen verdiente, gab es eigentlich nur in einem schmalen Streifen an der Ostküste – ansonsten herrschte viel zu oft das Recht des Stärkeren.

Welche Menschen werden von einem solchen Land angezogen? Selbstverständlich die, die sich für stark halten und staatliche Regelungswut eher als Unterdrückung denn als Zivilisation empfinden. Um zu den Zeiten der großen Einwanderungswellen nach Nordamerika zu gehen, brauchte man Pioniergeist. Es waren die Besten, die Europa verließen, die Wagemutigsten. Das stellte einen gewaltigen Aderlaß für unseren Kontinent dar, der folgerichtig nicht mehr in der Lage war, die Kolonien in Nordamerika am Zügel zu halten.

Die Pioniere wurden so stark, daß sie sich von der Kolonialherrschaft lösen konnten und es schafften, Europa schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts militärisch zu überflügeln. Damals allerdings kamen noch die meisten Wissenschaftler von Rang aus dem »alten« Europa, denn die Wissenschaftskultur hier konnte auf tausendjährige Traditionen zurückgreifen. Die Amerikaner hinkten hinterher. Das hat sich allerdings ebenfalls gründlich gewandelt. Kamen noch vor dem ersten Weltkrieg die meisten Nobelpreisträger aus Deutschland, so stammen sie heute aus den USA.

Wer als Europäer mit wachen Augen in die USA reist, wird allerdings bemerken, daß die ehemalige Pioniernation auf dem besten Weg ist, all die Marotten nachzuahmen, die das von ihr belächelte »alte« Europa bremsen. Die Flut der Vorschriften, die die Freiheit der Menschen einengen, wächst beständig. Die USA haben eine der am striktesten überwachten Geschwindigkeitsbegrenzungen der Welt, und das trotz Straßen, die oft kilometerweit keine einzige Kurve aufweisen. Die USA haben mit die härtesten Gesetze gegen Raucher auf diesem Planeten. Antidiskriminierungsgesetze und »Affirmative Action« schränken die private Vertragsfreiheit bedenklich ein, und auch das Wirtschaftsleben wird durch immer umfassendere Regelungen etwa zur Bilanzerstellung in bester alteuropäischer Tradition behindert.

Wir brauchen uns hier nicht darüber zu streiten, daß hohe Geschwindigkeiten und Rauchen gefährlich sind und daß eine Welt ohne Diskriminierungen gerechter wäre. Es geht vielmehr darum, ob gerechtes oder gesundheitszuträgliches Verhalten staatlich vorgeschrieben werden soll. Denn ein Aspekt von Freiheit ist auch der, Dinge zu tun, die andere so nicht tun würden. Bei Umfragen in Deutschland stellt sich immer wieder heraus, daß die große Mehrheit der Bundesdeutschen »Gerechtigkeit« für das wesentlich wichtigere Konzept hält als »Freiheit«. Und für diese »Gerechtigkeit« soll doch bitte schön der Staat sorgen…

Die USA sind auf dem besten Wege, die gleiche Mentalität zu entwickeln, die den Bürger einhüllt in ein engmaschiges Netz aus staatlichen Regelungen und Hilfen, die ihm »Gerechtigkeit« zuteil werden lassen – ihm aber dafür immer mehr seiner Freiheit nehmen. Dabei ist Freiheit durchaus nicht nur etwas Positives: Freiheit bedeutet auch die Freiheit, zu scheitern. Andererseits wird sich derjenige, der sich der Tatsache bewußt ist, daß er scheitern kann, wesentlich härter für seinen Erfolg ins Zeug legen als derjenige, der weiß, daß ihn im Falle des Mißerfolgs ein soziales Netz auffängt.

Die Freunde der Freiheit sind im »alten« Europa eindeutig in der Minderheit, und auch in den einst so freien USA liefern sie seit geraumer Zeit nur noch Rückzugsgefechte ab. Doch wohin soll man gehen auf einem Planeten, der komplett erforscht und besiedelt ist? Früher oder später hilft nur noch die Auswanderung ins All. Mittlerweile wissen wir, daß so gut wie jede Sonne von Planeten begleitet wird. Ich wage zu prophezeien, daß so wie einst die Auswanderer Schiffe über den Atlantik bestiegen, um die lange Reise nach Nordamerika zu wagen, Freigeister der Zukunft Raumschiffe besteigen werden, um einen Neuanfang auf anderen Welten zu versuchen.

Und so wie einst die Amerikaner werden sie Erfolg haben und Terra irgendwann nur noch als die »alte Erde« betrachten. Man kann den Wunsch nach Freiheit unterdrücken – ihn ausrotten kann man nicht. Ventile, die sich anbieten, werden auch genutzt. Und es werden immer die Besten sein, die uns verlassen, um in weiter Ferne neu anzufangen.

 
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