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Im Ring der Mysterious (2)
von Hubert Haensel
Erster Teil – Zweiter Teil – Dritter Teil
Seit zwanzig Sekunden gellte der Alarm durch das Schiff - seit der erste
der blauviolett schimmernden Raumer den Überlichtflug beendet hatte.
"Wieviele sind es inzwischen?"
"Siebenunddreißig Einheiten. Ihre Größe variiert von 180
Metern bis..."
Ren Dhark schüttelte den Kopf; das wollte er nicht hören. Was ihn in
dem Moment interessierte, waren keinesfalls Details, sondern einzig und allein
die Antwort auf die Frage, woher diese Armada von Ringraumern gekommen war. "Sie
fliegen eindeutig Angriffsformation."
Mysterious? Wer sonst bildete die Besatzung dieser Flotte? Ergriffen starrte
Ren Dhark auf die Wiedergabe des Ortungsbildes. Dies war der bewegendste Augenblick
seines Lebens, die Begegnung mit... nein, nicht nur mit einer Legende; vergeblich
suchte er nach einem Ausdruck, der seinen Empfindungen auch nur halbwegs gerecht
wurde. "Sie werden das Feuer eröffnen, Commander, sie..."
Die ersten Nadelstrahlen schlugen in das Doppelintervallum der POINT OF ein.
Dust- und Strichpunktstrahl folgten. "Fluchtbeschleunigung mit Sternensog?"
"Nein!" sagte Dhark.
Eine Hand umklammerte seinen Oberarm, Dan Rikers Finger krallten sich schmerzhaft
in sein Fleisch. "Gib den Befehl zum Abdrehen, Ren, sonst werden wir alle
sterben."
Unwillig schüttelte der Commander den Freund ab und stieß ihn zurück. "Flucht
löst das Problem nicht, oder willst du immer davonlaufen?" Herausfordernd
blickte er in die Runde. "Wollen wir uns wirklich zurückziehen? Heute
und morgen und auch übermorgen? Und was dann, immer weiter so?"
Dan Rikers Blick streifte die Belastungsanzeige des Doppelintervallums. Einhundertundzwanzig
Prozent bereits. Eine Mischung aus Zorn und Unglauben stand in seinem Gesicht,
als er sich erneut dem Commander zuwandte. "Wenn keine Entscheidung fällt,
sehen wir uns in der Hölle wieder, Ren", herrschte er ihn an. "Du
mußt verrückt geworden sein..."
* * *
... verrückt, hallte es in Dharks Gedanken nach. Vorübergehend
hatte er Mühe, sich zurechtzufinden und zu akzeptieren, daß nicht
die Trugbilder von eben Wirklichkeit waren, sondern die fast schon qualvolle
Enge der 001.
Wann hatte er den Helm seines Raumanzugs geschlossen? Er wußte es nicht.
Ebensowenig seit wann der Ausstieg des Flash offenstand. "Doorn",
rief er, "sind Sie ebenfalls auf dem Kometen gelandet?" Aber der
Helmfunk blieb stumm.
* * *
Es war eine bizarre kleine Welt aus Licht und Schatten, die der Commander
betrat. Der fast zum Greifen nahe Horizont verschmolz mit der Schwärze
der Dunkelwolke.
Staub, in dem er zentimetertief einsank, konservierte Dharks Stiefelabdrücke
für den Moment. Doch schon in den nächsten Wochen würde die ausgasende
Materie alle Spuren verwischen.
Ren Dhark hatte es aufgegeben, nach seinem Begleiter zu rufen. Falls Arc Doorn
sich in der Nähe befand (und dieser Begriff war relativ), hätte er
geantwortet; es gab nichts, was auf eine anhaltende Beeinträchtigung des
Funkverkehrs hinwies. Aber vielleicht hatte der Sibirier es vorgezogen, zur POINT
OF zurückzufliegen und Hilfe zu holen.
Faszinierend das blauviolette Leuchten hinter dem ersten zernarbten Hügel.
Minutenlang blieb der Commander auf der Höhe stehen und ließ das Panorama
auf sich wirken. Halb im Eis versunken, lag der gewaltige stählerne Rumpf
zu seinen Füßen. Eine stumpfe Eisnadel erhob sich im Zentrum, beinahe
als hätte ein unbekannter Sammler ein seltenes Insekt aufgespießt.
Von Minute zu Minute wuchs Ren Dharks Erregung, und immer hielt er kurz inne
und lauschte tief in sich hinein. Aber da war keine telepathische Stimme, die
ihn willkommen hieß.
Das Eis war brüchig und zerbröselte zwischen seinen Fingern.
Kein Intervallfeld entstand, als der Commander unmittelbar vor dem Ring stehenblieb
und den Rumpf mit beiden Händen berührte. Ganz andere Gefühle
als damals in Deluge waren es, die heute über ihn hereinbrachen. Heute wußte
er, daß er ein wahrhaft gewaltiges Raumschiff vor sich hatte - einen Koloß,
der in den falschen Händen Tod und Verderben über ganze Planetensysteme
bringen konnte, doch für die Menschen, die sich langsam von den Schrecken
der Vergangenheit erholten, bedeutete ein solches Schiff mehr als nur Hoffnung.
Es würde zugleich Sinnbild des neuen Aufbruchs sein.
Wie oft war die POINT OF schon angegriffen worden? Ren Dhark wollte jetzt nicht
darüber nachdenken, sich nicht mit Überlegungen quälen, daß die
unbekannten Erbauer des Schiffes vielleicht doch nicht so friedfertig gewesen
waren, wie er es sich einzureden versuchte.
"Eines Tages werde ich euer Geheimnis ergründen", murmelte er
im Selbstgespräch. "Und dieser Tag wird hoffentlich sehr bald kommen."
Kein Schott öffnete sich, um ihn einzulassen. Fugenlos glatt präsentierte
sich der gewaltige Ring, ein Gebilde wie aus einem Guß, und erst an der
inneren Wandung entdeckte Ren Dhark endlich die fremdartigen Schriftzeichen der
Mysterious. Sie wiesen ihm den Weg.
Minuten später glaubte er sanfte Vibrationen wahrzunehmen, die das Eis durchliefen.
Gleichzeitig begann sich ein Segment der Wandung aufzulösen, und es war
nur noch nebelhaft verschwommen vorhanden, als Ren Dhark entschlossen hindurchtrat.
* * *
Der Nebel hatte Bestand, eine dichte, gelbgrüne Suppe, die sich
mit perlender Nässe auf der Helmscheibe kondensierte. Nur zwei,
drei Meter weit konnte der Commander sehen, aber da war nichts von der üppigen
Technik, die er erwartet hatte, lediglich dieser wogende, unerklärliche
Dunst.
Schlamm saugte sich an den Stiefeln fest und löste sich nur widerwillig
und mit leisem Schmatzen. Zurück blieben zentimetertiefe Abdrücke,
in denen langsam brackige Nässe zusammenlief.
Aus zusammengekniffenen Augen versuchte Dhark, den Dunst zu durchdringen, und
alles in ihm drängte danach, niederzuknien und eine Probe des Schlamms
für eine Analyse zu nehmen. Nichts von der fast schon sterilen Atmosphäre
an Bord der POINT OF war hier vorhanden, aber vielleicht sah es in anderen
Bereichen des Ringes besser aus. Es mußte einfach so sein.
Die akustische Aufzeichnung war aktiviert. "Ich frage mich, welche Gegebenheiten
ich auf einem terranischen Raumschiff nach mindestens tausend Jahren vorfinden
würde. Vielleicht ist dies die ehemalige hydroponische Anlage. Die Pflanzen,
die hier gezüchtet wurden, haben irgendwann begonnen, unkontrolliert zu
wuchern. Wie lange hält sich ein solches System eigenständig am Leben,
bevor die Bedingungen schließlich umkippen und nicht mehr Humusbildung,
sondern ein Fäulnisprozeß einsetzt? Was wissen wir denn wirklich über
die Verhältnisse an Bord eines Ringraumers - die POINT OF war nicht fertiggestellt,
als wir sie fanden... Ich habe jetzt die Analyse der Luftzusammensetzung vorliegen:
Ein sehr hoher Anteil an Stickstoff und Fäulnisgasen, aber nur Spuren
von Sauerstoff. Der geringe Druck läßt vermuten, daß sich
die Atmosphäre verflüchtigt hat."
Es gab eine schwache energetische Hintergrundstrahlung, vielleicht Kriechströme
aus den mittlerweile ausgebrannten Konvertern, oder einfachste Lebenserhaltungsfunktionen,
die ihrem uralten Programm folgten.
Das gräßliche Knirschen, als etwas unter Dharks Stiefeln splitterte,
wurde innerhalb seines Raumanzugs übertragen. Instinktiv griff er zur
Waffe und ärgerte sich doch gleichzeitig über die unbeherrschte Reaktion.
Das Prickeln unter der Kopfhaut entsprang dem Unbehagen, das ihn beschlichen
hatte, zumal er sich seit einigen Augenblicken beobachtet fühlte. Vielleicht
arbeiteten noch einzelne Überwachungsanlagen, und in irgendeiner Zentrale
erschien in diesem Moment sein Konterfei auf einem Monitor.
Ren Dhark hatte für derartige Vermutungen nur ein Schulterzucken übrig.
Langsam kniete er nieder und wischte den Schlamm zur Seite. Das bleiche Etwas,
was da im Widerschein seines Helmscheinwerfers zum Vorschein kam, war das abgesplitterte
Stück eines Knochens.
Innerhalb weniger Minuten legte er ein Skelett frei, das annähernd menschlich
wirkte.
Ein Mysterious?
Es fiel schwer, sich das Wesen vorzustellen. Drei Finger nur an jeder Hand,
aber lange, mit jeweils zwei perfekt drehbaren Gelenken ausgestattete Arme. Der
Brustkorb schien weit vorgewölbt gewesen zu sein, und zwei dicke Knochenplatten
hatten die großvolumigen Lungen geschützt. Durfte er daraus schließen,
daß dieses Wesen auf einer Welt mit vergleichsweise dünner Atmosphäre
gelebt hatte?
Der Schädel wirkte länglich oval und war etwas größer
als der eines Menschen, obwohl das gesamte Skelett bestenfalls einen Meter
fünfzig maß. Der Mund saß unmittelbar über dem sehr schmalen
Kinn, die beiden Reihen spitzer Zähne wirkten selbst jetzt noch bedrohlich.
Weit standen die Augen auseinander, von kräftig vorgewölbten Jochbeinen
geschützt.
Mit den Mitteln moderner Gentechnik würde sich das Aussehen des Fremden
zweifelsfrei rekonstruieren lassen. Ren Dhark wußte aber schon jetzt,
daß er Wesen wie diesem bisher nicht begegnet war.
Ein Wächter? fragte er sich spontan. Oder nur jemand,
der zufällig auf den Ring stieß und ihn nicht mehr...
...verlassen konnte?
Wie weggewischt war seine Euphorie. Während der letzten halben
Stunde hatte er so ziemlich alle Vorsichtsregeln außer acht gelassen.
Allein in den Ring einzudringen war das Dümmste gewesen, was er
hatte tun können.
Zehn Meter hinter ihm lag die Außenwand. Ren Dhark wandte sich um und
zählte diesmal seine Schritte. Der Nebel - vielleicht handelte es sich
sogar um Partikel, die der Fäulnisprozeß freisetzte - machte immer
noch jede Orientierung unmöglich.
Zwanzig Schritte. Keine Wand schälte sich vor ihm aus dem Dunst. Zäh
schmatzte der Schlamm, und zum erstenmal beobachtete der Commander, daß die
gelbgrüne Partikelflut tatsächlich vom Boden her freigesetzt wurde.
Endlich zeichnete sich ein Schatten ab. Der breit gefächerte Scheinwerferkegel
huschte über ein Innenschott aus Unitall.
Der Durchgang stand offen.
Auch auf der anderen Seite herrschte Finsternis. Aber zweifellos warteten dort
angenehmere Räumlichkeiten. Die Gitterplatten, über die Dhark nun
schritt, wirkten wenigstens vertraut. Was unter ihm lag, konnte er nach wie
vor nur schlecht erkennen, offensichtlich reihten sich große Aggregatblöcke
aneinander.
Langsam ließ der Commander den Scheinwerferkegel wandern. Er befand sich
in der oberen Etage einer geräumigen Halle und die Wölbung des Ringes
begann nur wenige Meter über ihm. Ebensogut hätte er sich an Bord
der POINT OF aufhalten können, die Unterschiede zu den Maschinenräumen
und Hangars schienen minimal zu sein.
Im nächsten Augenblick erstarrte er.
Weiter mit Teil 3
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